Gerichtsurteil: Lahmheit kein Mangel?

Erschienen am 06.03.2023

Für den Käufer eines Pferdes ist es natürlich ärgerlich, wenn schon wenige Wochen nach Übergabe eine Lahmheit auftritt. Handelt es sich um einen Verbrauchsgüterkauf, könnte der Käufer auf die Idee kommen, vom Vertrag zurückzutreten mit der Begründung, dass der „Mangel“ sich innerhalb von sechs Monaten gezeigt hat. Dass diese Auffassung nicht immer erfolgversprechend ist, soll an einem Beispielsfall erläutert werden:

Der Fall

Der Kläger eines Rechtsstreits kaufte nach beanstandungsfreier Ankaufsuntersuchung ein Reitpferd, bei dem vier Monate nach Übergabe eine Lahmheit auftrat. Verkäufer war ein Unternehmer. Die tierärztliche Untersuchung bestätigte die Lahmheit und röntgenologisch einen in der betroffenen Gliedmaße befindlichen Chip. Daraufhin ist der Käufer vom Vertrag zurückgetreten und hat seine Forderung auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichtlich geltend gemacht.

Lahmheit als Mangel

Die Lahmheit ist sicherlich ein Mangel im Rechtssinne, wenn man bedenkt, dass ein lahmes Pferd jedenfalls nicht reitbar ist. Die reiterliche Nutzung verbietet sich schon aus Tierschutzgründen. Allerdings ist sie als Grundlage für einen Rücktritt nicht geeignet, wenn -wie im Ausgangsfall- das Pferd sowohl bei der Kaufuntersuchung als auch zum Zeitpunkt der Übergabe lahmfrei war. Maßgeblich für das Vorhandensein eines Mangels ist nicht irgendein Zeitpunkt mehrere Monate nach Übergabe, sondern der Gefahrübergang.

Die Beweisvermutung

Im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs wird nach § 477 BGB vermutet, dass ein Mangel bei Gefahrübergang bereits vorhanden war, wenn er sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang gezeigt hat. Das Gesetz sieht aber eine Ausnahme dann vor, wenn diese Beweisvermutung mit der Art des Mangels nicht vereinbar ist.

Das mit einem vergleichbaren Sachverhalt befasste OLG München vertrat die Auffassung, dass bei einer Lahmheit eine solche Ausnahme gegeben sei. Schließlich könne eine Lahmheit jederzeit auftreten, z.B. durch einen Unfall oder irgendein Trauma verursacht worden sein. Im Übrigen sei die Vermutung auch dadurch widerlegt, dass bei Gefahrübergang eine Lahmheit – unstreitig – nicht vorhanden war.

Der Röntgenbefund

Das OLG vertrat die Auffassung, der Kläger habe nachzuweisen, auf welche Ursache die Lahmheit zurückgehe. Der verwies auf den röntgenologisch nachgewiesenen Chip, von dem auch der vom Gericht beauftragte Sachverständige annahm, dass der bei Gefahrübergang vorlag.

Das OLG war der Auffassung, der Kläger habe nachzuweisen, dass genau dieser Befund die Ursache für die Lahmheit war. Der Stalltierarzt des Klägers hatte diese Frage bejaht, die dann in erster Instanz auch ein gerichtlich beauftragter Sachverständiger bestätigt hat. Der Kläger musste anschließend die Erfahrung machen, die nicht eben selten ist: Auch Sachverständige können sich irren. So jedenfalls das OLG München: Es beauftragte einen anderen Gutachter, der beanstandete, dass der zunächst tätige Kollege keine diagnostischen Anästhesien durchgeführt hatte und deswegen auch keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Lahmheit und Röntgenbefund habe herstellen können. Es kämen nämlich noch mehr als 10 Strukturen im selben Bereich der Gliedmaße als Lahmheitsursache in Betracht. Das OLG hielt auf der Grundlage des zweiten Gutachtens die Klage für unbegründet, weil dem Kläger nicht der Nachweis gelungen war, dass der Röntgenbefund die Lahmheit zur Folge hatte.

Die Beweisvermutung

Anzumerken ist, dass nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) die Beweisvermutung nach § 477 BGB nicht lediglich eine ist, die in zeitlicher Hinsicht auf sechs Monate begrenzt einen Beweisvorteil bringt. Vielmehr habe der Verbraucher lediglich nachzuweisen, dass sich eine Mangelerscheinung innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang gezeigt hat. Danach müsse der Unternehmer den Beweis führen, dass die Ursache der Lahmheit bei Gefahrübergang nicht vorhanden, auch nicht angelegt war. Das Urteil des EuGH hat den Bundesgerichtshof (BGH) dazu veranlasst, denselben, verbrauchergünstigen Maßstab anzulegen. Folgt man dieser -neueren- Ansicht, hätte der Unternehmer zu beweisen, dass die nach Übergabe aufgetretene Lahmheit nicht auf einen Röntgenbefund zurückzuführen ist, der bei Gefahrübergang bereits vorhanden war.

Die Nacherfüllung

Das OLG stützte die Abweisung der auf Rückabwicklung gerichteten Klage auch noch darauf, dass dem Verkäufer keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt worden war. Schließlich könne ein Chip, sofern er denn Ursache der Lahmheit gewesen wäre, chirurgisch entfernt werden. Der Umstand, dass nach der Arthroskopie das Pferd zunächst einmal für ca. 2 – 3 Monate nicht beansprucht werden dürfe, mache das Nacherfüllungsverlangen nicht entbehrlich.

Die Auffassung ist nur eingeschränkt nachvollziehbar. Insoweit wird es auf die Umstände des Einzelfalls ankommen, insbesondere auf die Frage, ob sich das Pferd nach einer Chip-OP tatsächlich in einem „vertragsgemäßen“ Zustand befindet, darüber hinaus auch auf den vorgesehenen Verwendungszweck. Sofern das Pferd für den sofortigen Turniereinsatz erworben wurde, wäre wohl eine Wartezeit von drei Monaten oder mehr nicht zumutbar.

Ergebnis

Sofern nach einer Lahmheit Gewährleistungsansprüche geltend gemacht werden sollen, empfiehlt es sich, eine gründliche Diagnostik zu veranlassen und möglichst die Ursache der Lahmheit festzustellen.

Dr. Dietrich Plewa, Rechtsanwalt / Fachanwalt

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