Verletzung der Aufklärungspflicht als grober Behandlungsfehler?
Erschienen am 06.11.2023
Das Patientenrechtegesetz, das in das BGB vor einigen Jahren eingefügt wurde, gilt grundsätzlich nicht für die Veterinärmedizin. Allerdings hat der Bundesgerichtshof (BGH) einige Grundsätze ausdrücklich auch für den Bereich der Veterinärmedizin übernommen. Die Aussagen des BGH haben dann – bis zum eventuellen Widerruf – quasi Gesetzescharakter.
Die Beweislast
In der Historie der gerichtlichen Entscheidungen zur Humanmedizin findet sich schon seit Jahrzehnten die Unterscheidung zwischen einem einfachen und einem groben Behandlungsfehler. Die hat für die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen des Patienten sehr große Bedeutung, nämlich Einfluss auf die Frage, wer was beweisen muss.
Ein vertraglicher Schadensersatzanspruch setzt eine Pflichtverletzung voraus, die ursächlich geworden sein muss für den entstandenen Schaden. Grundsätzlich sind diese Voraussetzungen auch im Verhältnis zwischen Arzt und Patient von letzterem zu beweisen. Er muss darlegen und nachweisen, dass der Arzt die von ihm zu erwartende Sorgfalt im Rahmen der Behandlung nicht eingehalten hat und dass diese Pflichtverletzung ursächlich geworden ist für den weiteren Krankheitsverlauf. Schadensersatz bekommt der Patient nur dann, wenn festgestellt werden kann, dass der Krankheitsverlauf nicht besser ausgefallen wäre, wenn der Arzt mit der gebotenen Sorgfalt gearbeitet hätte.
Der BGH hat in einem Grundsatzurteil festgestellt, dass die vorstehend dargelegten Grundsätze auch für das Rechtsverhältnis zwischen dem Pferdeeigentümer und dem von ihm beauftragten Tierarzt gilt. Ein grober Behandlungsfehler, der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, führt grundsätzlich zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem – beim Pferd – eingetretenen Gesundheitsschaden. Dafür reicht es aus, dass der grobe Behandlungsfehler – so der BGH – geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen oder zumindest mit zu verursachen.
Der grobe Behandlungsfehler
Ein Behandlungsfehler ist als grob zu bewerten, wenn der Tierarzt eindeutig gegen bewährte tierärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte veterinärmedizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Tierarzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.
Im gerichtlichen Verfahren hat das Gericht die Frage zu beantworten, ob ein einfacher oder grober Behandlungsfehler vorliegt. Das geschieht ausnahmslos unter Einbeziehung des Gutachtens eines veterinärmedizinischen Sachverständigen.
Verletzung der Aufklärungspflicht
Einem groben Behandlungsfehler gleichzusetzen sein kann in Ausnahmefällen auch eine Verletzung der tierärztlichen Aufklärungspflicht. Der BGH hat den entsprechenden Grundsatz für die Humanmedizin in einem Urteil vom 24.05.2022 mit ausführlicher Begründung aufgestellt. Bei der Behandlung von Pferden sind insoweit insbesondere Fälle in Betracht zu ziehen, bei denen es auf die Nachsorge bzw. Beobachtung des Pferdes nach einer ersten Behandlung und Diagnosestellung des Tierarztes ankommt. So müsste beispielsweise nach Feststellung eines Sehnenschadens der Auftraggeber nicht nur informiert werden, ob und wie das Pferd medikamentös weiter zu betreuen ist. Vielmehr entspricht es der tierärztlichen Sorgfalt, seinem Auftraggeber exakte Vorgaben zu machen für die künftige Haltung des Pferdes, z.B. Boxenruhe, Führen, Antrainieren und den zeitlichen Ablauf. Ähnliches gilt insbesondere für die Kolikbehandlung. Wird das Pferd entsprechend dem üblichen Standard zunächst mit schmerzstillenden und krampflösenden Medikamenten versorgt, führt das meist zu einer Verbesserung des Zustandes. Damit aber der Pferdeeigentümer nicht dem Irrtum unterliegt, sein Pferd sei endgültig geheilt, wird der Tierarzt ihm nachdrücklich auftragen müssen, das Pferd sehr engmaschig zeitlich zu beobachten und bei einem erneuten Auftreten von Koliksymptomen bzw. einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes den Tierarzt zu informieren. Unterbleibt eine entsprechende Aufklärung, dürfte von einer Verletzung grundsätzlicher Informationspflichten auszugehen sein, die einem groben Behandlungsfehler gleichgestellt werden und zu einer Umkehr der Beweislast führen können. Würde das Pferd dann verspätet einer stationären Behandlung zugeführt oder gar tot in der Boxe aufgefunden, weil es wegen unterbliebener Warnhinweise des Tierarztes nicht überwacht wurde, könnte das zu einem Schadensersatzanspruch führen.
Fazit
Der Pferdeeigentümer hat erhebliche Beweisvorteile, wenn dem Tierarzt ein grober Verstoß gegen die von ihm zu erwartende Sorgfalt anzulasten ist. Die Pflichtverletzung hätte zwar der Auftraggeber zu beweisen, der Tierarzt aber müsste den Beweis führen, dass der grobe Behandlungsfehler nicht ursächlich wurde für den Gesundheitsschaden oder gar den Verlust des Pferdes.
Dr. Dietrich Plewa
Rechtsanwalt / Fachanwalt