Hohen Wieschendorf: Enno Glantz und sein Faibel für Heimat, Erdbeeren und Pferde

Erschienen am 22.04.2023

Der 78-Jährige macht Hohen Wieschendorf zum Mekka des Pferdesports. Das Gut seiner Vorväter hat er aus Heimatliebe nach Rückkauf zu einem Schmuckkästchen gemacht und nun auch für sein schönstes Hobby, den Pferden und dem Reitsport, ein unverwechselbares Anwesen geschaffen, das höchstem internationalem Standard entspricht.

Die neue Reitanlage von Enno Glatz in Hohen Wieschandorf aus der Vogelperspektive, die Christoph Lanske leitet. Nach einem gelungenen Testevent am 18. und 19. April zieht vom 10. bis 14. Mai die DKB Pferdewoche ein, die bisher in Groß Viegeln stattfand. © Maria Seiler

Die neue Reitanlage von Enno Glatz in Hohen Wieschandorf aus der Vogelperspektive, die Christoph Lanske leitet. Nach einem gelungenen Testevent am 18. und 19. April zieht vom 10. bis 14. Mai die DKB Pferdewoche ein, die bisher in Groß Viegeln stattfand. © Maria Seiler

Hohen Wieschendorf. Wer von der Autobahn 20 in Richtung Wismar abbiegt, dann weiter auf der Bundesstraße 105 bis Gägelow, dann rechts auf die L01 Richtung Boltenhagen und an der Ampel vor Hohenkirchen rechts ab nach Gramkow fährt, erreicht nach 4 Kilometern den Ort Hohen Wieschendorf. Schon vor dem Ortseingang sieht man links große neue Gebäude und Plätze, die Kennern vermuten lassen, dass sich dort eine Reitanlage befindet. Neugierig geworden und näher herangefahren, traut man seinen Augen nicht was dort entstanden ist. Eine riesengroße Reitanlage, nach modernstem internationalem Standard gebaut.

Bauherr und Eigentümer ist der Chef des Erdbeerimperiums Enno Glantz. Der 78-Jährige ist in 7. Generation Landwirt mit Leib und Seele und entstammt einer weit verzweigten Mecklenburger Familie, die über 300 Jahre Pächter oder Besitzer von landwirtschaftlichen Gütern war und bis auf den vierfachen Urgroßvater Johann Christoph Glantz (1744-1821) zurückverfolgt werden kann. Dessen Sohn Johann Friedrich Glantz (1775-1845) hatte vier Kinder. Der älteste war Heinrich Johann Christoph Glantz (1808-1876). Friedrich Glantz (1846-1930) war das sechste seiner 13 Kinder, aus dem 1875 Paul Glantz als Zweiter von acht Kindern hervorging.

Dieser Paul Glantz, in Roez bei Göhren-Lebbin geboren, wo seine Eltern Pächter eines Gutes waren, wurde 1912 durch Kauf von Familie Bade Besitzer des Gutes Hohen Wieschendorf. Hohen Wieschendorf gehört zur Gemeinde Hohenkirchen. Paul und Edith Glantz bekamen fünf Kinder. Der älteste war Günther Glantz (Vater von Enno), der 1909 geboren wurde, als die Familie noch in Holzendorf bei Sternberg lebte. Ihn hatte dessen Vater Paul als Erben des Gutes in Hohen Wieschendorf vorgesehen, vorher jedoch sollte Günther einen Hof in Datzow auf der Insel Rügen für einen seiner jüngeren Brüder bewirtschaften. Datzow lag zwischen Samtens und Poseritz, dort wurden dann auch Enno und seine vier älteren Geschwister geboren.

Das Ende des 2. Weltkrieges änderte alles. Auch für Familie Glantz und ihre Besitzungen, die durch die Bodenreform, die große Ungerechtigkeiten mit sich brachte, weil alle „Großgrundbesitzer“ von der neuen kommunistischen Administration als Staatsfeinde betrachtet wurden und Landwirtschaftsbetriebe ab 100ha entschädigungslos enteignet wurden. Den ehemaligen Besitzern wurde es sogar unter Strafe der Verhaftung untersagt, auch nur in die Nähe ihrer Besitzungen zu kommen.

Das alles betraf 1945 auch das Gut von Paul Glantz in Hohen Wieschendorf. Sein Sohn Günther Glantz war noch in Kriegsgefangenschaft, als dessen Frau Ninchen mit ihren fünf Kindern von Datzow zunächst bei ihren Schwiegereltern in Hohen Wieschendorf Schutz suchte, um dann gemeinsam mit ihnen per Fischerboot über die Ostsee nach Schleswig Holstein und später über Braunschweig (wo Verwandte lebten) nach Hamburg zu fliehen. Enno war da als Jüngster acht Monate alt. Vater Günther konnte zum Glück aus der Gefangenschaft fliehen, kam zunächst zu Fuß, abgemagert und in Lumpen gekleidet, so dass ihn kaum jemand erkannte, nach Hohen Wieschendorf. Von wohlwollenden Nachbarn gewarnt, die hörten, dass man ihn verhaften wolle, floh auch er und folgte seiner Familie.

Günther Glantz fand Anstellung als Verwalter auf einem städtischen Gutshof in Farmsen, einem Hamburger Stadtteil. Über Prof. Sengbusch, einem bedeutenden deutschen Botaniker und Pflanzenzüchter, nachdem die bis heute bekannte Erdbeersorte Senga Sengana benannt ist, kam Günther Glantz zu den Erdbeeren. Eine Schicksalsbegegnung, die seitdem das gesamte Leben der Familie bestimmt.

Am 18. und 19. April bekamen Reiter und Besucher bei einem zweitägigen Late-Entry-Turnier erste Eindrücke von der Anlage in Hohen Wieschendorf. Die Plätze sind mit Pferdebeine schonenden Böden und Ebbe-Flut-Systemen angelegt worden, die witterungsunabhängig sind. Als erster S-Sieger geht Thomas Kleis von der Pferdesportarena Schloss Wendorf in die Geschichte der Reitanlage ein. © Jutta Wego

Am 18. und 19. April bekamen Reiter und Besucher bei einem zweitägigen Late-Entry-Turnier erste Eindrücke von der Anlage in Hohen Wieschendorf. Die Plätze sind mit Pferdebeine schonenden Böden und Ebbe-Flut-Systemen angelegt worden, die witterungsunabhängig sind. Als erster S-Sieger geht Thomas Kleis von der Pferdesportarena Schloss Wendorf in die Geschichte der Reitanlage ein. © Jutta Wego

Familie Glantz steigt zu den bedeutendsten Erdbeer-Bauern auf

1961 pachtete sich Günther Glantz einen eigenen Betrieb auf einem heruntergekommenen 60 Hektar-Hof in Delingsdorf Kreis Stormarn. Hier begann die Spezialisierung des Erdbeeranbaus in großem Stil. Auch Enno Glatz, der den Hof 1972 von seinem Vater übernahm (die Geschwister wandten sich anderen Tätigkeiten zu), setzte diese Spezialisierung konsequent fort. Der Traum, eines Tages wieder auf heimatliche Erde zurückkehren zu können, lebte in Günther Glantz über all die Jahre weiter und war vor allem in seinem Sohn Enno tief in dessen Herz verwurzelt.

Nach der deutschen Wiedervereinigung sollte dieser Traum wahr werden. Enno Glantz und seine Ehefrau Lisa konnten nach langwierigen Verhandlungen und der bitteren Erkenntnis, dass die Ungerechtigkeit der Enteignung durch die Politik nicht beseitigt wurde, ab 1991 den größten Teil des großelterlichen Gutes in Hohen Wieschendorf von der Treuhand zurückkaufen. „Das Gefühl, wieder nach Hause angekommen zu sein war nicht nur der Höhepunkt meines Lebens“, sagt er. „Ich erfüllte damit auch den größten Wunsch meiner Eltern. Mein Vater starb zwar bevor wir in Hohen Wieschendorf wieder wirtschafteten, bekam unsere Bemühungen und Verhandlungen aber noch mit. Meine Mutter erlebte dagegen den Um- und Ausbau des Gutes noch ganz bewusst, bevor sie 2016 zwei Wochen nach ihrem 100. Geburtstag starb.“

Nach erheblichen Sanierungs- und Umbauarbeiten präsentiert sich das Gut nun an seiner Ursprungsstätte, in schönster Ostseelage, als "Erdbeerhof Glantz". Auf insgesamt 380 Hektar werden neben Erdbeeren auch Himbeeren, Weihnachtsbaumkulturen, Getreide, Raps und Zuckerrüben angebaut. Zuckerrüben waren vor 1945 die Hauptfrucht auf dem Gut.

Blick in die große Springhalle der Anlage, der sich hinter dem Betrachter dieses Fotos die Dressurhalle anschließt. Die rechte Längsseite ist mit Sektionaltoren ausgerüstet, hinter denen eine Tribüne geplant ist die technisch so eingerichtet wird, dass man von ihr sowohl auf den Außenplatz als auch in die Halle schauen kann. © Jutta Wego

Blick in die große Springhalle der Anlage, der sich hinter dem Betrachter dieses Fotos die Dressurhalle anschließt. Die rechte Längsseite ist mit Sektionaltoren ausgerüstet, hinter denen eine Tribüne geplant ist die technisch so eingerichtet wird, dass man von ihr sowohl auf den Außenplatz als auch in die Halle schauen kann. © Jutta Wego

Die Leidenschaft von Enno Glantz für Pferde

Enno Glantz hat neben der Liebe zur Landwirtschaft und zum Erdbeeranbau auch eine Leidenschaft für Pferde entwickelt. „Als ich konfirmiert wurde und mir das Geld vom Mund abgespart hatte, denn wir hatten ja nichts in dieser Zeit, habe ich mir meinen Wunsch erfüllt und angefangen zu reiten“, sagt Enno heute. Eine Freundschaft zu Herbert Rehbein, dem einstigen Leiter des Grönwohldhofes in Trittau, verstärkte das. Inzwischen als Amateur-Springreiter erfolgreich, begann er in Delingsdorf auch Dressur- und Springpferde zu züchten. Bei den jährlichen Hoffesten in Delingsdorf mit bis zu 40.000 Besuchern, werden neben allem was sich um Erdbeeren und Himbeeren bewegt, seit 2017 auch kleine aber feine und auf hochkarätigen Sport ausgerichtete Reitturniere organisiert und bei der „Glantz & Gloria Auktion“ Fohlen und Reitpferde versteigert.

Doch das alles reichte dem niemals rastenden Enno Glantz nicht. Die räumlichen Gegebenheiten in Hohen Wieschendorf ermöglichten es, dass er seinen Traum von einer Reitanlage größeren Stils verwirklichen konnte. Im Herbst 2021 war es soweit, dass zum Staunen der Besucher Richtfest gefeiert werden konnte. Doch auch die Aktivitäten von Enno Glantz, mit Ungeduld vorangetrieben, wurden durch die Pandemie und den Ukraine-Krieg gebremst. Deshalb verzögerte sich die Fertigstellung und die bereits für 2022 mit einem internationalen Turnier geplante Eröffnung konnte nicht stattfinden.

Die Pferde stehen in großräumigen Boxen. Beide Ställe sind mit zweigeteilten Außentüren/Fenstern versehen, die den Pferden einen Blick nach draußen ermöglichen. © Jutta Wego

Die Pferde stehen in großräumigen Boxen. Beide Ställe sind mit zweigeteilten Außentüren/Fenstern versehen, die den Pferden einen Blick nach draußen ermöglichen. © Jutta Wego

Inzwischen ist aber alles gerichtet und Besucher staunen nur, die nach Hohen Wieschendorf kommen. Neben Springsport hat Enno Glantz auch einen Femel für Dressurpferde. „Das hängt auch mit meiner Freundschaft zum viel zu früh verstorbenen Herbert Rehbein zusammen“, verrät Enno Glantz. Deshalb hat er seiner Anlage eine klar erkennbare Zweiteilung gegeben. Der Stalltrakt umfasst zwei schräg angelegte Flügel mit je 21 Boxen für den Spring- und Dressurbereich. Letzterer ist im Moment noch etwas unterbesetzt. Die zwei Reithallen sind ebenfalls darauf ausgerichtet, ebenso die zwei großen Außenreitplätze. Alle Anlagen sind mit modernsten, Pferdebeine schonenden Böden ausgestattet und mit Ebbe-Flut-Systemen versehen. Großzügige Paddocks, mit feuerverzinktem Stahl hoch eingefriedet und absolut ausbruchsicher, umgeben die Anlage. Die Tribüne ist im Moment noch nicht eingebaut. Sie wird der Springhalle angegliedert und mit Rolltoren technisch so eingerichtet, dass sie sowohl für Freilandturniere als auch Indoor-Events genutzt werden kann. Die Längsseite beider Plätze, hintereinander angelegt, enthält einen Erdwall, der Turnierbesuchern gute Sichtmöglichkeiten bietet. In der Anlage sind zudem Wohnungen für Personal eingerichtet.

Zum Leiter der Reitanlage hat Enno Glantz den 34-jährigen Mecklenburger Springreiter Christoph Lanske aus Dersekow zu sich geholt. Bisher Pächter einer kleinen Anlage in Wendorf bei Grimmen, ist Christoph für Enno Glantz schon seit einigen Jahren als Bereiter seiner Springpferde tätig. „Ich arbeite schon seit längerem mit Christoph zusammen, er passt perfekt zu mir und meiner Vorstellung wie man mit Pferden arbeitet.“ Mit diesen Worten stellte er ihn den Besuchern 2021 beim Richtfest der Anlage vor. 2022 ist Christoph Lanske in die Anlage eingezogen und hat zusammen mit seiner Lebensgefährtin Natalie Hoppe und seinem Bereiter Willi Franke Quartier in Hohen Wieschendorf bezogen.

Leiter der Anlage ist der 34-jährige Christoph Lanske, der für den RSV Dersekow reitet und hier beim Testevent am 19. April im Sattel des 9-jährigen Hengstes Catching Fire (v. Cellestial x Quantum) sitzt, den Heiko Schmidt in Neu Benthen gezogen hat und sich im Besitz der Glantz Equestrian KG befindet. © Jutta Wego

Leiter der Anlage ist der 34-jährige Christoph Lanske, der für den RSV Dersekow reitet und hier beim Testevent am 19. April im Sattel des 9-jährigen Hengstes Catching Fire (v. Cellestial x Quantum) sitzt, den Heiko Schmidt in Neu Benthen gezogen hat und sich im Besitz der Glantz Equestrian KG befindet. © Jutta Wego

Was das Thema Turniere betrifft, macht Enno Glatz dieses Jahr Nägel mit Köpfen. Der Eröffnung am 18. und 19. April mit einem Late-Entry-Springturnier folgt vom 10. bis 14. Mai bereits das erste internationale Vier-Sterne-Turnier mit insgesamt 22 Prüfungen. Angedacht sind für später auch Dressurturniere.

Mit seinen Aktivitäten, von denen er sagt: „der Wiederaufbau des Gutes in Hohen Wieschendorf und die Reitanlage sind mein größtes Abendteuer“, hat Enno Glantz nicht nur seinen Lebenstraum verwirklicht. Er hat damit auch der Pferde- und Reitsportszene in Mecklenburg-Vorpommern in einer Zeit einen großen Schub gegeben, in der einige nach 1990 errichtete Reitanlagen nicht mehr existent sind und der Turniersport allgemein etwas ins Stocken geraten ist. (fw)

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