Nachruf für Dr. Herta Steiner

Erschienen am 01.11.2024

Die Pferdewelt trauert um Frau Dr. Herta Steiner, die am 21. Oktober im Alter von 99 Jahren verstorben ist. Frau Dr. Steiner wird als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten auf dem Gebiet der Pferdezucht in Sachsen und Thüringen und darüber hinaus in Erinnerung bleiben. Sie hat auf Grund ihrer Persönlichkeit viele Züchter, Reiter, Fahrer, Gestütsbedienstete und Lehrlinge inspiriert und für die Pferdezucht und das Landgestüt (das frühere Hengstdepot) begeistert.

Im Jahre 1925 am 20. August wurde Dr. Herta Steiner als Tochter eines Ingenieurs in Ober-Mohren im Sudetenland (heute Tschechien) geboren. In Trautenau (Sudeten) hatte sie 1942 das Abitur abgelegt und anschließend eine Landwirtschaftslehre in Taubnitz (Mähren) erfolgreich beendet. Nach dem Ende des 2.Weltkrieges wurde sie im Jahre 1946 aus ihrer Heimat vertrieben und kam nach Transport im Viehwaggon zunächst in ein Lager in der Nähe von Nesow (Mecklenburg). Durch glückliche Umstände konnte sie bis 1947 in der Fachschule für Landwirtschaft in Mischütz (Sachsen) die Oberstufe besuchen. Daran schloss sich ein Studium der Landwirtschaft an der Universität in Leipzig an, welches sie mit dem Examen als Diplomlandwirt beendete. Von 1950 bis 1952 arbeitete sie als Assistentin im Tierzuchthauptgut für Warmblutpferde in Großvoigtshagen in Mecklenburg. Im Jahre 1953 wurde sie zum Betriebsleiter im VE Gut Redefin berufen, ab 1.10.1955 zur Direktorin des staatlichen Hengstdepots Redefin. Damit war sie die erste Frau in Deutschland, die mit der Leitung eines Hengstdepots (Landgestüt) betraut wurde.

Durch staatliche Entscheidungen nach einem privaten Besuch in Westberlin bedingt, über die Frau Dr. Steiner nie gerne gesprochen hat, musste sie 1958 Redefin verlassen und wurde anschließend bis 1959 Betriebsassistentin im Hengstdepot Moritzburg-damals unter Leitung von Dr. Hans Joachim Schwark. Im März 1953 promovierte sie an der Universität Rostock. Das Thema ihrer Dissertation lautete: „Die Entwicklung der Mecklenburger Warmblutpferdezucht unter dem Einfluss der Rassenpaarung mit Vollblut“. Von 1959 bis 1961 leitete sie als Nebenbetriebsleiterin des Hengstdepots Halle Kreuz das neugegründete Thüringer Hengstdepot in Stotternheim. Noch 1961 wurde sie stellvertretende Direktorin im Hengstdepot Moritzburg und 1962 als Direktorin der Moritzburger Einrichtung berufen. Dieser Berufung schloss sich 1962 die Prüfung zum Staatlich geprüften Tierzuchtleiter an.

Mit Gründung der Zentralstelle für Pferdezucht beim Ministerium für Land- Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft der DDR leitete Frau Dr. Steiner ab 1968 als Direktorin die Pferdezuchtdirektion Süd mit dem Hengstdepot Moritzburg und den Zuchtleitungen in Dresden und Weimar. Bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Dienst im Oktober 1985 gelang es ihr, die sächsisch-thüringische Pferdezucht im Rahmen des Umzüchtungsprozesses vom Arbeits- zum Sport-und Freizeitpferd nachhaltig zu beeinflussen. Dabei musste der Moritzburger Hengstbestand in relativ kurzer Zeit eine zweimalige Umstellung erfahren. Zunächst in der ersten Stufe Reduzierung der Schweren Warmblüter; Einsatz von Englischen Vollblütern und Hengsten Trakehner Abstammung und in der zweiten Stufe Umstellung des Hengstbestandes zu Edlen Warmblütern auf Hannoveraner Grundlage gezogen. Dass es ihr dabei gelang, im Verbund mit den Zuchtleitern und den passionierten Züchtern die Schwere Warmblutzucht als Unikat zu erhalten, ist eines ihrer besonderen Verdienste. Auch hielten die Haflingerhengste in Moritzburg dauerhaft Einzug und ein im Umfang angepasster Kaltbluthengstbestand auf rheinisch-deutscher Grundlage gezogen, konnte ebenfalls erhalten bleiben.

Mit besonderer Hingabe gestaltete sie in ihrer Zeit als Direktorin des Hengstdepots die Hengstparaden zu Höhepunkten im jährlichen Ablauf des Gestütsbetriebes. In einem Interview im Oktober des vergangenen Jahres sagte sie dazu:“Hengstparade war für mich wie Oper“. Sie gab den Hengstparaden die bis heute prägende Form der Präsentation der Hengste in Verbindung mit historischen Schaubildern, dem Pushballspiel, der Kosakenreiterei sowie dem abschließenden 16er Zug vor der Postkutsche und dem Trompetensolo „Die Post im Walde“. Auch versah sie in jedem Jahr alle Quadrillen in großer Fleißarbeit mit neuen von ihr entworfenen Choreografien. Die maximale Zuschauerzahl wurde im Jahre 1982 mit mehr als 56.000 Besuchern erreicht. Nicht zu vergessen ist auch ab dem Jahre 1968 der Beginn der Berufsausbildung zum Gestütswärter im Hengstdepot Moritzburg. Sie legte großen Wert auf die Förderung junger Mitarbeiter. Am Hengstparadeplatz konnte im Jahre 1980 unter ihrer Leitung eine neu erbaute zweite Reithalle in Betrieb genommen werden, wodurch sich die Ausbildungsbedingungen für die Pferde und Reiter verbesserten und in der Folgezeit auch Hallenturniere und Schauveranstaltungen möglich wurden.

Für ihre besonderen Leistungen erhielt Frau Dr. Steiner im Jahre 1999 das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland und im Oktober 2001 den Verdienstorden des Freistaates Sachsen. Der Deutsche Reiter-und Fahrerverband ehrte sie mit dem Bronzenen Wagenrad. Von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) wurde sie für ihre Verdienste um die Deutsche Pferdezucht mit der Gustav-Rau-Medaille ausgezeichnet.

Frau Dr. Steiner verfolgte in den Jahren nach 1990 sehr aufmerksam das Zuchtgeschehen und die Entwicklung der Sächsischen Gestütsverwaltung sowie des Pferdezuchtverbandes Sachsen-Thüringen. In den Unterhaltungen mit ihr versetzte sie ihre Gesprächspartner immer wieder in Erstaunen darüber, über wie viele aktuelle Details in der Pferdezucht, dem Pferdesport und Fragen der Politik sie sehr gut informiert war. Dann ergaben sich jedes Mal interessante Gespräche, die bereicherten und zum Nachdenken anregten.

Was Frau Dr. Steiner auszeichnete und was mit Hochachtung in der Erinnerung an sie bleiben wird, ist ihre außergewöhnliche Persönlichkeit, gekennzeichnet durch Geradlinigkeit, Fleiß, Vorbildwirkung im täglichen Dienstbetrieb und eine große Pferdeliebe.

Alle, die sie näher kannten, werden sie vermissen. Im Landgestüt Moritzburg wird ihr vielfältiges Lebenswerk als Hinterlassenschaft gepflegt und in der Tradition dieser Einrichtung erhalten. Damit bleibt ihr Andenken auch für zukünftige Generationen gewahrt.

Dr. Matthias Görbert
Landstallmeister a.D.

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