Ausbildung: Pferd mit hochgradig Kissing Spines (Teil 2)
Erschienen am 28.06.2011
In der Vergangenheit war es das absolute AUS für jedes Sportpferd. Doch es gibt Hilfe, wie Ausbilderin Anne Smatelka in ihrem mehrteiligen Bericht aufzeigt (2. Teil)
In der letzten Ausgabe haben wir über die siebenjährige Stute mit Kissing Spines im fortgeschrittenen Stadium berichtet. Sie wurde innerhalb von neun Monaten durch falsche Ausbildung und schlechten Beritt von einer Ausbilderin (Erfolge bis Springen Klasse S) "hingerichtet". Erschreckend genug!
In der Zwischenzeit sind fünf Wochen vergangen und unsere Stute hat sich den Umständen entsprechend gut entwickelt. Das folgende Weidefoto (links) zeigt ein entspanntes und nicht mehr so abgemagertes Pferd (rechts).

Nicht dass der Osteopath jetzt im Wochentakt gerufen werden muss, um irgendwelche Blockaden zu lösen - wir erachten es nur als sinnvoll, ihr gerade in der Anfangszeit, in der die Angst vor dem Schmerz noch sehr groß ist - möglichst viel Linderung und Entspannung zu verschaffen.
Die Rückenmuskulatur übernimmt für die Zukunft eine stark stabilisierende Funktion und so wird sich die Häufigkeit des Einsatzes des Osteophaten im Laufe der Zeit massiv reduzieren. Die Osteopathie wird aber Bestandteil ihres Lebens bleiben.
Die meisten Dinge, wie beispielsweise die Gymnastik, kann der Reiter oder auch Besitzer selbst übernehmen. Ist das Pferd erst einmal in sich stabilisiert, wird man auch diesen Aufwand auf ein vernachlässigbares Maß reduzieren können. Mit entsprechend viel Weidegang, guter Ausbildung, einem auf die Bedürfnisse des Pferdes abgestimmten Beschlag und guter Fütterung kann die Stute schmerzfrei leben.
Wir beginnen mit der Arbeit unter dem Sattel
Da die Stute im Laufe der so genannten Ausbildung einen massiven Unterhals entwickelt hat, lernte sie, diesen gegen die Reiterhand einzusetzen und ihn als Hebel zu verwenden, wenn sie sich in unterschiedlichen Situationen nicht fügen wollte.
Das kontinuierliche Herausdrücken des Unterhalses hat bei einem Pferd mit Kissing Spines massive gesundheitliche Konsequenzen. Betrachten wir die Grafik von Robert Stodulka, wird deutlich, welche:
Durch das Kopf-Hochziehen und das Herausdrücken des Unterhalses macht das Pferd ein "Hohlkreuz".

Die Stute hat sich im Laufe ihres Beritts angewöhnt, diese Schmerzen mit noch mehr Druck gegen die Reiterhand zu quittieren. Es ist anzunehmen, dass die Bereiterin entsprechend grob mit Kraft darauf reagiert haben muss.
Bei unserem ersten - zur Entspannung gedachten - Ausritt, war ihre Überforderung vor der neuen Situation trotz Begleitpferd sehr groß. Sie drückte mit aller Macht gegen das Gebiss und versuchte den Kopf nach oben zu pressen, um mit dem gut ausgeprägten Unterhals jede Einwirkung durch den Reiter zu verhindern.
In einer für sie schwierigen Situation begann sie ohne Vorankündigung zu steigen. Dieses Steigen wiederholte sich leider mehrmals und endete in einem gemeinsamen Sturz von Reiter und Pferd. Dem Pferd ist glücklicherweise nichts passiert. Professionelles Steigen kommt meist durch Überforderung und Panik (aufgrund von schlechten Erfahrungen). Das Pferd weiß nicht mehr wohin. Es bleibt ihm quasi nur der Weg nach oben, um sich der Pein zu entziehen, denn der Weg zur Flucht nach vorne ist verwehrt.
Steigen zu verhindern, respektive, es dem Pferd wieder abzugewöhnen, ist ein schwieriges Unterfangen und bedarf viel Geduld und Erfahrung. Im Allgemeinen helfen nur die Zeit - um zu vergessen - und das Vermeiden von extremen Stresssituationen. In vielen Fällen geht es nicht mehr ganz weg, lässt sich aber reduzieren. Ob die Stute das Steigen jemals ganz lassen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschätzbar.
Für die weitere Arbeit mit dem Pferd bedeutet das:
- Die Stute muss erst einmal wieder lernen, in Stresssituation nicht die Flucht nach oben zu suchen, denn das ist für alle Beteiligten gefährlich.
- Sie muss erfahren, dass sie ihrem Reiter vertrauen kann.
- Sie sollte von extrem stressbelasteten Situationen möglichst fern gehalten werden.
- Die Arbeit unter dem Sattel reduziert sich auf die gewohnte Umgebung, in der sie sich sicher fühlt.
Unsere Stute ist auf einem guten Weg
Mittlerweile arbeiten wir ca. zwei Monate mit der Stute und sie macht große Fortschritte im Umgang und unter dem Sattel. Wir verändern den Trainingsaufbau. Die Arbeit unter dem Sattel nimmt einen großen Teil der Trainingszeit in Anspruch.
Vor jedem Reiten macht die Stute ihre Fünf-Minuten-Gymnastik. Diese wurde mit der Osteophatin festgelegt. Wir lassen sie aufwölben, dehnen sie mit leichtem Ziehen am Schweif und üben das leichte Beckenkippen, lassen sie die Wirbelsäule leicht nach links und rechts verschieben, machen Übungen, die den verspannten Kiefer entspannen können.
Nach dieser Gymnastik wird sie ca. 15 Minuten in die Tiefe longiert. Das Longentraining baut eventuelle Verspannungen ab. Dabei binden wir regelmäßig Stangen mit ein. Häufige Trab-Galopp-Übergänge unterstützen das Lösen zusätzlich. Danach fünf Minuten Reiten im Schritt, um dann mit der Trabarbeit zu beginnen. Hierzu reduzieren wir uns zu Beginn noch auf Leichttraben und das Reiten im Remontesitz.

Eigentlich ist es ganz einfach und jedes Pferd, egal auf welchem Ausbildungsstand, nimmt diese Übung gerne an, denn sie entlastet den Rücken komplett.
Der Reiter geht in den leichten Sitz (bleibt in den Bügeln stehen) und lässt das Pferd den Zügel-aus-der-Hand-kauend in die Tiefe traben. Von Bedeutung ist, die leichte Verbindung zum Pferdemaul zu erhalten, Sorge zu tragen, dass der Zügel nicht springt und dem Pferd den Weg in die Tiefe zu weisen. Hat das Pferd im Rücken einmal nachgegeben - was das korrekt ausgebildete Pferd sofort und das zu korrigierende Pferd nach kurzer Zeit freudig annimmt - ist das Ziel, diese Dehnungshaltung nicht nur in Trab und Galopp und den Übergängen zu erhalten, sondern dem Pferd dabei auch die Zügel ganz nach vorne Richtung Maul nachzugeben, um es zu weiterer Dehnung des Halses und Aufwölben des Rückens zu veranlassen.
Bevor wir das erste Mal zum Leichttraben übergehen, haben wir diese Methode schon über einen Zeitraum von einer Woche praktiziert.
In der Zwischenzeit trabt und galoppiert die Stute lang-rund-und-tief entspannt ihre Runden und wir haben begonnen, auch große gebogene Linien, wie Schlangenlinien, große Zirkel, großzügige Volten hinzuzunehmen. Druckempfindlichkeit im Rücken zeigt die Stute nicht mehr. Das heißt, dass das Pferd nach sechs Wochen korrekter Aufbauarbeit druckschmerzfrei ist. Sie lernt somit jeden Tag aufs Neue, dass Reiten nicht wehtun muss.
Der folgende Rückenvergleich zeigt die Entwicklung der letzten vier Wochen. Vor allem wird an diesem Bild deutlich, wie sehr der Rücken wieder nach oben kommt. Nun traben wir vermehrt leicht und sitzen phasenweise aus. Zuerst nur wenige Runden. Verspannt oder verhält sich das Pferd, wechseln wir wieder zum Remontesitz oder lassen sie entspannt am langen Zügel Schritt gehen. Auf diese Weise vergisst sie jeden Tag ein bisschen mehr ihre Angst und es macht ihr zwischenzeitlich Freude zu arbeiten. Sie ist aufmerksam und konzentriert.
Jedes Pferd hat eine feste und eine hohle Seite. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der "natürlichen Schiefe" des Pferdes. Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese natürliche Schiefe auf die Lage des Embryos im Mutterleib zurück zu führen ist. Die natürliche Schiefe ist bei unserer Stute sehr stark ausgeprägt. Das heißt, man hat während der Ausbildung nicht daran gearbeitet, sie gerade zu richten.
Die Arbeit auf der rechten Hand ist schon akzeptabel. Die Trab-Galopp-Übergänge sind fließend, sie dehnt sich wunderbar in die Tiefe. Auch wenn sie sich auf dieser - für sie hohlen Seite - gerne über die äußere Schulter wegmogeln möchte, hat sie schon Momente, in denen sie an den äußeren Zügel herantritt.
Das Reiten auf der linken Hand bereitet große Probleme. Es ist ihre feste Seite. In der Vergangenheit muss beim Reiten auf dieser Hand durch den Reiter mit sehr viel Druck auf das Gebiss gearbeitet worden sein. Vor allem mit Ziehen am inneren Zügel. Das Pferd hat sich als Reaktion auf den inneren Zügel gelegt, das Kauen auf dem Gebiss komplett eingestellt und ist in ausgeprägter Form über die äußere Schulter weggelaufen. In den ersten Tagen war dieses Über-die-äußere-Schulter-Weglaufen so extrem, dass dem Reiterbein die Pfosten der Platzbegrenzung schon ziemlich nahe kamen.
Nimmt man ihr die Möglichkeit, sich auf den inneren Zügel zu stützen, wie auf ein fünftes Bein, kommt sie vollständig aus dem Gleichgewicht und zieht den Kopf hoch, beginnt beim Traben zu wanken, wird eilig und macht Taktfehler, verhaspelt sich. Man hat das Gefühl, sie müsse in der Wendung umfallen.
Wir beginnen aus diesem Grund schon in diesem Stadium mit den ersten Versuchen, das Pferd gerade zu richten. Hierzu dienen alle Übungen und Lektionen, die das Pferd in seiner Gymnastizierung unterstützen. Im ersten Schritt nutzen wir das Schulterherein. - Eine der wichtigsten und nützlichsten Lektionen überhaupt. Über das Schulterherein gibt es unterschiedliche Ansichten. Viele Ausbilder glauben, dass man es sinnvollerweise erst zu einem späteren Zeitpunkt in die Arbeit einbinden sollte; wenn das Pferd schon lektionssicher ist. Da die Stute diese Übung sehr schnell begreift, gehen wir den Weg der klassischen Reitkunst und binden es schon in diesem Anfangsstadium mit ein. Schon Gustav Steinbrecht weist in seinem Buch "Gymnasium des Pferdes" von 1884 darauf hin, dass diese Arbeit für die junge Remonte sehr sinnvoll ist.
Die Erfolge zeigen sich auch hierbei in kleinen Schritten. Das Ausfallen auf der linken Hand wird langsam etwas weniger. Auch wenn man beim Galoppieren noch sehr stark nach außen gedrückt wird. Sie ist eben momentan noch so unausbalanciert wie eine junge Remonte.
Die Arbeit zeigt große Erfolge. Die Stute hat sich vom Gebäude so stark verändert, dass der Sattler den neuen - speziell angepassten Sattel - jetzt nach sechs Wochen schon umpolstern und in Kammer und Kopfeisen erweitern muss. Auch im Umgang hat sich die Stute sehr zum Positiven entwickelt. Beim Putzen und Satteln steht sie entspannt. Die Unterlippe hängt entspannt, die Augen sind fast geschlossen, die Ohren fallen zur Seite herunter. Sie hat beschlossen, dem Menschen wieder zu vertrauen. Die Basis ist geschaffen.
Fortsetzung folgt