Ausbildung: Die Skala der Ausbildung

Erschienen am 19.01.2012

Die ersten drei Stufen erreicht man durch viel Arbeit an der Longe, in Verbindung mit weichem und feinem Reiten sowie häufiges Ausreiten ins Gelände.

Reitmeister Richard Wätjen (1891-1966). "Nur was sich loslässt, lässt sich versammeln." Bei genauerer Betrachtung finden wir in dieser Aussage die Skala der Ausbildung wieder.

Die Skala der Ausbildung beschreibt den Weg der Ausbildung eines Pferdes: Takt - Losgelassenheit - Anlehnung - Geraderichtung - Schwung - Versammlung. Das Zitat von Wätjen ist eine Zusammenfassung der Skala der Ausbildung. Hier misst Wätjen der Losgelassenheit als Basis für die gesamte Ausbildung große Bedeutung bei.

Spricht man von Losgelassenheit, muss man zwei Punkte betrachten. Die innere wie auch die äußere Losgelassenheit. Die innere Losgelassenheit ist die Basis für die äußere Losgelassenheit. Man kann sie auch als innere Zwanglosigkeit bezeichnen. Ihre Grundlage ist Vertrauen, Entspanntheit. Angst und innerer Zwang können niemals zu Losgelassenheit führen. Steht man unter Stress / Angst, verkrampft sich die Muskulatur, ist man verspannt. Das gilt für Mensch und Tier gleichermaßen. Ein Pferd, das innerlich angespannt ist, kann sich nicht loslassen. Es wird sich beispielsweise niemals reell in die Tiefe strecken können oder gar in Dehnungshaltung gehen, denn das setzt Losgelassenheit voraus.

Losgelassenheit und die Skala der Ausbildung

Nur ein losgelassenes Pferd kann seinen Takt finden.

Ein losgelassenes Pferd, das seinen Takt findet, schwingt unter dem Reiter elastisch von hinten nach vorne durch. Es macht den Rücken auf, dehnt sich schon in der Lösungsphase entspannt in die Tiefe, die Hinterhand ist aktiv. Es kaut zufrieden auf dem Gebiss. Der Reiter kommt zum Sitzen.

Lässt, sich ein Pferd nicht los, verspannt es sich: im Bereich des Rückens und der Hinterhand, im Genick und im Hals. Es werden sich Probleme bei der Stellung und Biegung ergeben, das Pferd wird nicht kauen. Es wird im Laufe der Zeit zu Taktfehlern kommen. Der Schritt verändert sich in eine passartige Fußfolge, in unterschiedlichen Trittlängen. Im Trab kann es zu Zügellahmheiten, eiligen, flachen und laufenden Tritten führen, Rahmenerweiterung bei den Verstärkungen kann das Pferd nicht zeigen.

Ein Pferd, das sich nicht loslassen kann, kommt auf die Vorhand, drückt gegen die Hand. Der Galopp zeichnet sich dadurch aus, dass er eilig und flach ist, der Durchsprung gefährdet ist. Vierschlag und andere Taktstörungen sind die letztendliche Folge.

Nur ein losgelassenes Pferd wird die Anlehnung suchen.

Ein Pferd, das sich loslässt, tritt gerne an die Hand heran. Es dehnt sich an die Hand des Reiters. Ein Pferd, das die Anlehnung nicht sucht, verkriecht sich hinter dem Zügel oder legt sich auf den Zügel, drückt gegen die Hand, rollt sich ein, hebt sich heraus, die Anlehnung ist noch konstant.

Nur ein losgelassenes Pferd kann man gerade richten.

Dieses gestellte Foto zeigt ein völlig festgezogenes verkramoftes Pferd.

Dieses gestellte Foto zeigt ein völlig festgezogenes verkramoftes Pferd.

Ein Pferd, dass nicht gerade gerichtet ist / von seinem Reiter nicht gerade gerichtet werden kann, kann die letzten beiden Punkte der Skala der Ausbildung nicht erreichen. Es tritt beispielsweise innen oder außen mit den Hinterhufen vorbei. Reitet man auf einen Spiegel zu, kann man sehen, dass die Hinterhufe nicht in die Spur der Vorderhufe fußen sondern daran vorbei (ganz wie ein Hund). Auf der gebogenen Linie läuft es über die äußere Schulter weg. Im Galopp macht sich das Pferd schief und man kann es schlecht oder gar nicht aufnehmen. Versammelnde Lektionen lassen sich nicht reiten und man muss sein Pferd quasi zusammen-/zurückziehen. Ein Pferd, das nicht gerade gerichtet ist, wird Probleme in der Anlehnung haben, oftmals seinen Takt nicht finden.

Nur ein losgelassenes Pferd kann wirklich Schwung entwickeln.

Um Schwung entwickeln zu können, müssen alle Muskeln entspannt an- und abspannen können. Das Pferd muss gymnastiziert und locker sein, willig an die Hand herantreten und nach den Verstärkungen ohne Druck- und Kraftaufwand wieder zurückkommen / sich aufnehmen lassen, Übergänge geschmeidig erfolgen. Der Reiter hat das Gefühl, sein Pferd zieht an die Hand heran, er hat es vor sich. Es schwingt und der Reiter kommt tief im Pferd zum Sitzen.

Nur ein losgelassenes Pferd kann man versammeln.

Die Versammlung als die Vollendung der Skala der Ausbildung, Sie ist erreicht, wenn das Pferd bereitwillig die Last auf die Hinterhand aufnimmt, die Hanken biegt. Der Reiter nur noch denken muss und das Pferd führt die versammelnden und verstärkende Lektionen bereitwillig aus. In der Versammlung hat man das Gefühl, das Pferd kommt einem nach oben entgegen, es wird in der Vorhand größer, bei der korrekten relativen Aufrichtung ist das Genick der höchste Punkt.

Wenn das alles ohne Kraft und Druck erfolgen kann, spricht man von einem losgelassenen Pferd.

Die Skala der Ausbildung - wie auch unser Eingangszitat - zeigen ganz deutlich, wie komplex und von einander abhängig die einzelnen Schritte in der Ausbildung von Reiter und Pferd sind.

Die großen alten Meister der klassischen Reitkunst haben lange verstanden, welche Kriterien erfüllt werden müssen, um Reiter und Pferd Freude an der gemeinsamen Arbeit zu ermöglichen.

Die Richtlinien Reiten und Fahren, Band 1 der FN, 1981, sagen dazu: "Die Losgelassenheit ist erreicht, wenn das Pferd in allen drei Gangarten mit nach vorwärts-abwärts gedehntem Hals, schwingendem Rücken und natürlichen, taktmäßigen Bewegungen, ohne zu eilen, die Hilfen des Reiters annehmend, vorwärts geht. Man sagt: "Der Reiter kommt zum Treiben."

Und zur Versammlung heißt es: "Erreicht wird die Versammlung nur durch den richtigen Aufbau der Ausbildung und geduldige zielstrebige Arbeit. Der Reiter muss sich bemühen, mit elastischer, gefühlvoll einwirkender Hand in Verbindung mit deutlichen und energisch vortreibenden Hilfen, den Schub der Hinterbeine aufzufangen, um so die Beugung der Hanken zu erzielen."

Woran erkennt man ein losgelassenes Pferd und wie erreicht man, dass sich das Pferd loslässt und man darüber zur Versammlung kommt?

Man erkennt es:

Das Pferd signalisiert dem Reiter Wohlbefinden. Wir können also sagen: Ein Pferd, was sich unter dem Reiter wohlfühlt, kann sich loslassen.

Das Foto zeigt ein losgelassenes Pferd. Zwar sollte die Reiterin eine bessere Verbindung zum Pferdemaul halten, aber obwohl der innere Zügel durchhängt, bleibt das Pferd in Selbsthaltung. Am äußeren Zügel ist zu erkennen, dass das Pferd an die äußere Hand heran tritt. Die Galoppade zeigt sich als vorwärts-aufwärts mit aktivem Hinterbein. Ein entspanntes, aufmerksames Gesicht und pendelnder Schweif zeigen Wohlbefinden.

Auf dem nächsten Foto demonstriert die Reiterin mit dem gleichen Pferd durch ihre harte und unnachgiebige Hand und ihren Sitzfehler, wie schnell sich ein Pferd verspannen kann. Das Ohrenspiel, Augen und aufgesperrtes Maul zeigen deutlich Stress, der Schweif des Pferdes pinselt. Durch die harte Hand kann dass Pferd mit dem Hinterbein nicht aktiv nach vorne unter den Schwerpunkt treten.

Würde - wie hier demonstriert - das Pferd über einen längeren Zeitraum in dieser Form geritten, würde sich nicht nur das Gangmuster (Bewegungsablauf) des Pferdes verändern, sondern das gesamte Erscheinungsbild (falsche Bemuskelung), Gesichtsausdruck und Gesamtverhalten. Innere und äußere Losgelassenheit sind bei dieser Art des Reitens nicht erreichbar.

Ein Pferd, das nicht losgelassen ist, kann man zusätzlich an folgenden Verhaltensweisen erkennen:

Wie erreicht man Losgelassenheit?

Losgelassenheit ist die Grundvoraussetzung für eine mögliche spätere Versammlung. Es spielen auch externe Faktoren eine Rolle, damit ein Pferd sich loslassen kann. Die äußeren Bedingungen sind:

Das Reiten

Ein korrekter, tiefer und elastischer Sitz und die feine Hand des Reiters

Der sinnvolle und abwechslungsreiche Aufbau einer Trainingseinheit / einer Reitstunde

  1. 10 Minuten Schritt am langen Zügel
  2. Lösende Lektionen im Schritt (Schulterherein auf gerader und gebogener Linie, Halten- Rückwärtsrichten daraus wieder anreiten, Wechsel zwischen versammeltem und Mittelschritt, große gebogene Linien u.v.m.)
  3. Der korrekte Weg in die Tiefe / das Herauskauen-Lassen der Zügel in der Lösungsphase in Trab und Galopp
  4. Arbeiten im Leichttraben auf gebogenen Linien
  5. Seitengänge, leichte Tempounterschiede
  6. Galopp-Trab-Übergänge
  7. Häufige Handwechsel
  8. Der Wechsel zwischen versammelnden und verstärkenden Lektionen
  9. Das Herauskauen-Lassen zum Abschluss eines Trainings
  10. Das Schrittreiten am langen Zügel in der Halle, auf dem Platz, im Gelände

Das Herauskauen-Lassen-in-die Tiefe ist der Weg, der für jedes Pferd - egal auf welcher Ausbildungsstufe es sich befindet - zu innerer und äußerer Losgelassenheit führt. Ein Pferd, das in Hyperflexion geht (auch bekannt als Rollkur), kann und wird sich niemals entspannen und somit loslassen können. Es wird niemals in Vollendung zu versammeln sein. Reiten wird immer ein Kampf, ein Messen der Kraft zwischen Reiter und Pferd bleiben. Es wird Druck entstehen und der erzeugt bekanntlich Gegendruck.

Die Arbeit über den Weg in die Tiefe gilt nicht nur für das alte und erfahrene Pferd. Auch die junge Remonte, die ihr Leben als Reitpferd gerade erst beginnt, ist in ihrer gesamten Entwicklung abhängig von einem sinnvollen und korrekten Start.

Ziel ist das Erreichen ersten drei Stufen der Skala der Ausbildung: Takt, Losgelassenheit, Anlehnung. Viel Arbeit an der Longe, in Verbindung mit weichem und feinem Reiten sowie häufiges Ausreiten ins Gelände. Erst nach Abschluss dieser Ausbildungsphase sollte die dressurmäßige Ausbildung beginnen. Freude an der Arbeit, ein leistungsbereites und gesundes Pferd danken uns Reitern diesen Weg der Ausbildung. Dann lässt sich ein Pferd los und dann lässt es sich versammeln.

Anne Schmatelka

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