Wege zum angemessenen Umgang mit WFFS und anderen genetischen Eigenschaften

Erschienen am 23.04.2019

M. Wobbe, F. Reinhardt, K.F. Stock, R. Reents
Vereinigte Informationssysteme Tierhaltung w. V. (vit), Verden

Bis vor Kurzem waren für den Züchter von Warmblutpferden Abstammungsüberprüfungen und Tests auf bestimmte Fellfarben die wesentlichen Berührungspunkte mit Molekulargenetik-Laboren. Mit der Diskussion um den Erbdefekt WFFS (Warmblood Fragile Foal Syndrome) hat sich dies im letzten Jahr schlagartig geändert.

Die erbliche Bindegewebsschwäche, die bereits 2011 durch eine US-amerikanische Forschergruppe aufgeklärt wurde, wird durch eine Punktmutation verursacht und folgt einem autosomal rezessiven Erbgang. Ein Pferd erkrankt somit nur, wenn es je ein entsprechend verändertes Gen sowohl vom Vater als auch von der Mutter erhalten hat, beide Eltern also sogenannte Anlageträger sind. Die Anlageträger selbst zeigen keinerlei Krankheitssymptomatik. Ohne Gentest kann also nicht erkannt werden, dass sie die Veranlagung für den Defekt tragen und an ihre Nachkommen weitergeben können. WFFS ist damit ein typisches Beispiel für eine rezessiv (verdeckt) vererbte genetische Eigenschaft. So werden verschiedene positive und negative Erbeigenschaften zusammenfassend bezeichnet, auf die bei verschiedenen Tierarten, wie beispielsweise Hund und Rind, bereits routinemäßig untersucht wird. Auch die Fellfarben zählen hierzu. Faktenwissen und die richtige Einordnung einer Mutation sind aber natürlich besonders wichtig, wenn sie über die Gesundheit und Lebensfähigkeit eines Nachkommen entscheidet. Für WFFS ergibt sich damit eine große Bedeutung aller Maßnahmen, die die sachliche Information der Züchter über die Erkrankung unterstützen und damit auch den angemessenen Umgang mit Testergebnissen fördern. Der nachfolgende Artikel soll hierzu beitragen.

Von mehreren Zuchtverbänden wurden wiederholt Fragen zur WFFS-Thematik an ihr Dienstleistungsrechenzentrum vit herangetragen. Daher starteten dort auf Initiative einzelner Verbandsvertreter zu Beginn dieses Jahres Untersuchungen zu WFFS. Die Vorstellung erster Zwischenergebnisse Mitte März 2019, zu denen es auch eine Pressemitteilung gab, motivierte weitere Zuchtverbände, sich an der Pilotstudie zu beteiligen. Somit war es mittlerweile möglich, die statistischen Analysen zu wiederholen und durch die Bezugnahme auf eine erheblich erweiterte Datengrundlage in ihrer Aussagekraft zu stärken. Zunächst ging es um die Frage des Ursprungs bzw. des Ausgangspunktes der Verbreitung der Mutation in der Pferdepopulation. Denn dass sie vor sehr langer Zeit erstmals aufgetreten sein muss, ging schon aus frühen Publikationen hervor. Dann sollte die Annahme überprüft werden, dass die meisten Merkmalsträger (betroffene Tiere) bereits während der Trächtigkeit abgestoßen und gar nicht geboren werden. Schließlich wurde untersucht, ob sich für Anlageträger vielleicht sogar ein Selektionsvorteil nachweisen lässt. Denn dies könnte erklären, weswegen sich die Mutation in der Population halten konnte.

Ursprung und mögliche Verbreitungswege

Der Erbfehler WFFS ist in vielen Rassen und Zuchtpopulationen bekannt und nachgewiesen. Fälle wurden u. a. in den USA, der Schweiz, Schweden, Dänemark und Deutschland dokumentiert. Dies lässt den Schluss zu, dass die Entstehung der Mutation lange zurückliegen und bei einem Vorfahren entstanden sein muss, dessen Genetik sich nachfolgend in allen Populationen verbreitet hat. Eine Schlüsselrolle des englischen Vollblutes hinsichtlich der Verbreitung von WFFS zu vermuten, liegt daher nahe. Als Veredler kamen und kommen englische Vollblüter in den meisten Warmblutzuchten seit Anfang des letzten Jahrhunderts immer wieder zum Einsatz. Bislang gab es allerdings nur Spekulationen, welcher Vollblüter nun konkret der Ausgangspunkt der WFFS-Verbreitung in der deutschen Reitpferdepopulation gewesen sein könnte. Die im Rechenzentrum durchgeführten Pedigreeanalysen brachten hier nun Licht in's Dunkel: Die gemeinsame Stammdatenbank der Zuchtverbände ermöglichte, die Abstammungen von rund 2.000 auf WFFS getesteten Pferden sehr weit zurück zu verfolgen. Der Vergleich von Ahnen-Häufigkeiten zwischen positiv (WFFS-Träger) und negativ (WFFS-frei) getesteten Pferden lieferte dann den entscheidenden Hinweis: Der 1905 geborene englische Vollblüter Dark Ronald xx und sein Vater Bay Ronald xx (1893) waren unter rund 15.000 Pferden, die insgesamt in den Pedigrees auftauchten, die einzigen, die als Ahnen aller bekannten Anlageträger vorkamen. Daher dürften diese beiden Englisch-Vollblut-Hengste selbst Anlageträger gewesen sein, und die Mutation kann folglich bei ihnen oder noch früher erstmals aufgetreten sein. Erwartungsgemäß kamen diese prägenden Hengste zwar auch im Pedigree von fast allen freien Pferden vor, im Durchschnitt aber über deutlich weniger Linien als bei den Anlageträgern. Wenngleich sich der Entstehungszeitpunkt der Mutation heute nicht mehr eindeutig klären lässt, könnte der Eintrag der Mutation in die Reitpferde-Populationen von den beiden genannten Hengsten ausgegangen und dann weiter über die Söhne des Dark Ronald xx erfolgt sein, hauptsächlich Herold xx (1917) und Son-in-Law xx (1911).

Jeder Zuwachs an WFFS-Testergebnissen, die für Auswertungen zur Verfügung stehen, erweitert die Möglichkeiten einer Überprüfung und Erweiterung der Erkenntnisse zum Ursprung und zur Verbreitung der Mutation. Man muss jedoch bedenken, dass die Pedigreeanalysen, je weiter man in die Vergangenheit geht, immer unsicherer werden. Denn trotz aller Sorgfalt bei der Datenbankpflege ist es nicht zu vermeiden, dass sich die teils lückenhaften oder uneinheitlichen alten Aufzeichnungen auch in einer nachlassenden Datenqualität in sehr weit zurückreichenden Pedigrees niederschlagen. Eine derartige Ahnenforschung ist daher mit hohem Recherche- und Prüfaufwand verbunden. Dies erklärt, dass die mittlerweile vergrößerte Informationsgrundlage in diesem Teil der Analysen noch nicht berücksichtigt werden konnte. Im Austausch mit den Zuchtverbänden wird hieran im vit weitergearbeitet. Fakt ist, dass die Entstehung der WFFS-Mutation weit zurückliegen muss und ein Auftreten schon bei den Gründern der Rasse des englischen Vollblutes nicht auszuschließen ist.

In Anbetracht der Tatsache, dass das schadhafte Gen bereits in vielen verschiedenen Rassen, die durchaus nicht alle dem Warmblut zuzurechnen sind, nachgewiesen wurde, wäre es eigentlich gerechtfertigt, sich auf eine allgemeinere Bezeichnung der Erkrankung zu verständigen oder das "W" für Warmblood in der Bezeichnung zumindest gedanklich zu streichen. Die Verbreitung reicht weiter. Sieht man sich international einmal um, stellt man fest, dass dieser Tatsache andernorts bereits Rechnung getragen wird: Beispielsweise ist in einer Stellungnahme der Australian Warmblood Association vom 8. Juni 2018 ausschließlich von FFS, Fragile Foal Syndrome, die Rede.

Auswirkungen von WFFS in der heutigen Pferdezucht

Als Ausgangspunkt für die Untersuchung von WFFS als Ursache für frühe und größtenteils vorgeburtliche (embryonale) Fohlenverluste dienten erneut Deckmeldungen und Registrierungsdaten. Gegenüber der initialen Pilotstudie konnten nun die Deckdaten von insgesamt 10 deutschen Pferdezuchtverbänden herangezogen werden: Das Datenmaterial der Trakehner, von Oldenburg und Oldenburg International sowie Westfalen wurde ergänztum das von Hannover, Sachsen-Thüringen, Brandenburg-Anhalt, Mecklenburg Vorpommern, Baden Württemberg und dem Zuchtverband für deutsche Pferde. Aus den Deckjahren 2008 - 2017 standen damit rund 320.000 Bedeckungen für die Auswertungen zur Verfügung. Der Verbandsgröße geschuldet gab es deutliche Unterschiede in der Datenmenge, die beigesteuert wurde: Auf die einzelnen Verbände entfielen in dem 10-Jahres-Zeitraum zwischen 6.000 und über 100.000 Bedeckungen. Die Verteilung der Anzahl relevanter, also potenziell zur Entstehung eines Fohlens führender Bedeckungen spiegelt die bekannte Entwicklung des Zuchtgeschehens beim Reitpferd wider; die Anzahl Bedeckungen pro Jahr variierte von etwa 26.000 bis über 40.000 (Abbildung 1).

Verteilung der in die Auswertungen eingehenden Deckmeldungen nach Deckjahren

Gut die Hälfte aller Bedeckungen stammte von WFFS-getesteten Hengsten, so dass rund 180.000 Deckmeldungen in die Analysen einbezogen werden konnten. Diese ergaben für WFFS-Anlageträger eine Verringerung der Abfohlraten (bzw. des Anteils überlebensfähiger Fohlen) um im Mittel 2,5 % gegenüber WFFS-freien Hengsten. Der Unterschied mag gering erscheinen, ließ sich jedoch statistisch absichern. Im angewendeten Modell wurden neben dem WFFS-Status des Hengstes, den es zu ermitteln galt, weitere Einflussfaktoren auf die Abfohlrate berücksichtigt: das Deckjahr, der Datenlieferant, das Alter der Stute und schließlich der Hengst selbst.

Um die eigenen, anhand der nutzbaren Deckdaten ermittelten Ergebnisse einordnen zu können, wurde ein mathematisches Modell der Populationsgenetik, das Hardy-Weinberg-Gesetz, angewendet. Dieses ergibt, wenn man für Reitpferdepopulationen von einer Trägerfrequenz der WFFS-Mutation von 10 bis 15 % ausgeht und annimmt, dass ein Hengst, der Anlageträger ist, an die durchschnittliche Stutenpopulation angepaart wird, einen Erwartungswert von 2,6 - 3,7 % Merkmalsträgern. Wird ein Großteil dieser Merkmalsträger nicht geboren, ist dieser Schätzwert so zu interpretieren, dass es zu rund 3 % mehrVerfohlungen aufgrund von WFFS kommt. Die aktuellen Ergebnisse auf Basis der erweiterten Daten können die Ergebnisse der Pilotstudie damit absichern und entsprechen weiterhin genau den Erwartungen. Die Vermutung, dass WFFS also überwiegend im Verborgenen wirkt und eine Ursache für vorgeburtliche Fohlenverluste ist, lässt sich somit aufrecht erhalten. Die Kenntnis des WFFS-Status der eigenen Stute und die Vermeidung der Verpaarung von Anlageträgern erhöht demnach in jedem Fall die Aussicht auf ein gesundes Fohlen. Die Meldung der WFFS-Untersuchungsergebnisse, zu der verschiedene Verbände wiederholt aufgerufen haben, erweitert gleichzeitig die Möglichkeiten, das WFFS-Geschehen durch statistische Analysen solide aufzuarbeiten.

Hinweise auf mögliche Zusammenhänge

Wenn Mutationen ausschließlich negativ wirken, halten sie sich selten dauerhaft in einer Population. Im Umkehrschluss begründet die Tatsache, dass WFFS seit langem vorkommt und über Rassen hinweg weit verbreitet ist, die Hypothese, dass Anlageträger einen Selektionsvorteil besitzen könnten. Überprüft wurde diese Annahme anhand von Zuchtwerten der Hengste für die Reitsportleistung, wie sie deutschlandweit alljährlich geschätzt werden. Die Erweiterung der Auswertungsgrundlage durch die zusätzlichen Verbände erhöhte die Zahl der einzubeziehenden Hengste auf knapp 1.000 und stärkte die Aussagekraft der Analysen nochmals deutlich. Was sich initial in der Pilotstudie nur als leichte Tendenz abgezeichnet hatte, trat nun deutlich hervor und ließ sich auch statistisch absichern. In einzelnen Dressurmerkmalen lagen die Anlageträger im Mittel um ca. 4 - 5 Punkte höher als die WFFS-freien Hengste. Am deutlichsten zeigte sich der Unterschied beim Einzelzuchtwert für die Rittigkeit.

Wege zum angemessenen Umgang mit WFFS

Das Wichtigste im Umgang mit WFFS bleibt das Testen der Hengste und Zuchtstuten, um Anpaarungen von zwei Anlageträgern zu vermeiden. Denn nur aus solchen Anpaarungen können Merkmalsträger hervorgehen (auf WFFS zurückzuführende embryonale Verluste, Verfohlungen und nicht lebensfähige Fohlen). Die aktuellen Analysen können weiter ausgebaut und über das Rechenzentrum vit als Hilfestellung für den einzelnen Züchter angeboten werden: Für jedes Pferd lässt sich die Wahrscheinlichkeit berechnen, mit der es den WFFS-Defekt trägt. Allerdings müssten für eine möglichst sichere Berechnung noch weitere, insbesondere wichtige ältere Hengste nachtypisiert werden. Dann wäre es denkbar, nur noch solche Stuten zu testen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Träger der Mutation sind. Durch diese reduzierten Labortests könnten Kosten eingespart werden.

Aufgabe der Pferdezucht ist es nun, zum angemessenen Umgang mit WFFS zu finden. Mit einer WFFS-freien Population könnte man nach aktuellem Kenntnisstand die Abfohlraten um ca. 2,5 % steigern. Dies stünde jedoch in keiner Relation zu dem Verlust an genetischer Vielfalt, der mit dem Zuchtausschluss aller aktuell bekannten Anlageträger verbunden wäre. Denn denselben Effekt erzielt man auch durch die konsequente Berücksichtigung des WFFS-Status bei Anpaarungsentscheidungen. (W)FFS ist - wie andere Erbfehler, die wir bis dato nur noch nicht identifiziert haben - durch gezieltes Testen und Anpaaren in den Griff zu bekommen, so dass kein Grund zur Panik besteht - weder in den Verbänden noch in der Züchterschaft.

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